Montag, 28. September 2020

Motorrevision afrikanisch - wer braucht schon Schleifpaste?

Der Passat läuft. Das wenige, was zu machen ist, das ist so unspektakulär, dass sich ein Eintrag hier kaum lohnt.

Der Bus läuft auch und wartet derzeit darauf, dass die Zulassung erneuert wird. Außerdem denkt er, dass er jetzt etwas Besseres ist und nicht mehr so viel schuften muss, weil er jetzt prominent ist und die Oktoberseite des nächstjährigen Bullikalenders ziert:


Also gehe ich fremd. Ich habe noch nie so viele Motorschäden erlebt wie hierzulande. Und zwar richtige Motorschäden. Und dann oft zwei, drei Mal am selben Auto innerhalb kürzester Zeit. Da liegt natürlich der Verdacht nahe, dass nicht sauber gearbeitet wurde. Den hatte auch meine Nachbarin, als 2000 Kilometer nach einer kompletten Motorrevision mit neuen Kolben und Ventilen der Motor plötzlich schon wieder streikte. Irgendwo in den Bergen zwischen Kairo und Hurghada war Schluss. Da half nur noch der Abschlepper. 

Die Bilder, die ich vorab bekam, die waren wirklich nicht schön.


Da nicht klar war, wieso es zu dem Schaden gekommen ist und bei ihr die Vermutung nahelag, dass beim Zusammenbau nicht ordentlich gearbeitet wurde, bat sie mich, quasi als Gutachter, mit in die Werkstatt zu fahren, um mir ein Bild von der Sache zu machen.

Da ich beim ersten Motorschaden schon mit dabei war, wusste ich, dass das jedes Mal ein Erlebnis der besonderen Art ist. Und das wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Die "Werkstatt", die ich ab sofort nur noch in Anführungszeichen setze, liegt im Norden Kairos in Warraq Al Arab, kurz bevor die Stadt sich in das beginnende Nildelta hineinzersiedelt. Touristen verirren sich hier ganz sicher nicht hin, selbiges gilt für Ausländer, wobei es hier sicherlich Ausnahmen gibt. Von der Hauptstraße aus biegt man irgendwann einmal scharf rechts ab, die Straße ist dann auch zu Ende und es geht weiter auf einem unbefestigen Weg, bis nach circa 300 Metern dann links die "Werkstatt" liegt. Das Ganze sieht folgendermaßen aus, wenn man nicht weiß, wo man hin muss, findet man das auch nicht. Hinzu kommt, dass so einiges spitzes Gerümpel auf dem Weg liegt und die Gefahr eines Reifenschadens gar nicht so gering ist.


     

  


Als wir dann in der "Werkstatt" ankamen, war das Auto schon ziemlich zerlegt und die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Meine Nachbarin hatte im Vorfeld vorsichtshalber schon mal ganz ordentlich die Sau rausgelassen. Das ist hierzulande in den allermeisten Fällen ein probates Mittel, um zu seinem Recht zu kommen. Allerdings ließ die Stimmung des Mechanikers (ohne Anführungszeichen) schon erahnen, dass er deutlich in seiner Ehre gekränkt und auch überzeugt war, keinen Fehler gemacht zu haben.


Normalerweise regelt man das dann mit ein, zwei bis zwanzig sich gegenseitig angebotenen und geneinsam gerauchten Zigaretten, viel Tee und gezielten körperlichen Berührungen als Respektsbekundungen wie Schulterklopfen, Händchenhalten und was es da alles noch so gibt. Man regelt das also unter Männern. In Coronazeiten mitten im ägyptischen Geschehen ist das aber nicht so einfach. Es wäre einfach, wenn beide Seiten der Meinung wären, dass es so etwas wie Corona gibt. Ein Großteil der meist nichtakademischen Bevölkerung hier ist aber der Meinung, Corona sei vorbei. Demzufolge hält sich auch kaum jemand an die Hygienemaßnahmen, die eigentlich angezeigt sind.

Also kein einfaches Terrain. Zumal der gute Mann jetzt auch seine Stunde sah, jemandem, er scheinbar Ahnung hat, zu erklären, was da passiert ist und dass er nichts für den Schaden konnte. Das war ein bisschen ein Spießrutenlauf, hat aber ganz gut geklappt. Fast zwei Wochen später bin ich immer noch symptomfrei. 

Erst einmal musste er die ganzen Teile wieder finden, die über den Hof verstreut auf dem sandigen Boden lagen, was ihm aber ziemlich zielstrebig gelungen ist. Und dann ging das auch schon los... 

  


Der Zylinderkopf war ok, musste aber geplant werden. Das hat er damals noch abgestritten, hat seine Meinung jedoch später dann während der Reparaturarbeiten revidiert. 


  Besonders erwischt hat es die ersten beiden Zylinder. 


Aber auch die beiden anderen hatten deutliche Laufspuren. Fazit: da sind wohl vier neue Laufbuchsen und vier neue Kolben inklusive Pleuel und Pleuellagerschalen fällig. Jetzt musste nur noch geklärt werden, wer für den Schaden aufkommt. Die Schilderungen meiner Nachbarin, das Schadensbild und die Erläuterungen des Mechanikers mussten auf einen Nenner gebracht werden und da war leider relativ schnell klar, dass zwar klar war, wie der Schaden entstanden ist, aber nicht wirklich, wer jetzt letztendlich dafür verantwortlich ist.

Der Motor wurde heiß- und trockengefahren nachdem der Schlauch zwischen Kühler und Ausgleichsbehälter kühlerseitig abgerutscht war. Abgerutscht ist er, weil keine Schraubschelle verbaut wurde. Oder abgefallen ist. Oder, oder, oder... 


Weise ihm da mal was nach. Vor allem, wenn das Auto in Einzelteile zerlegt in der Walachei über den ganzen Hof verteilt ist. Strategiewechsel. Es war an der Zeit für den Teil mit dem Tee, den Zigaretten und den Freundschaftsbekundungen. Natürlich sollte er das reparieren. Wer denn sonst? Es gibt ja keinen Besseren. Und natürlich hat sich die Madame aufgeregt, das muss man doch verstehen. Aber da kann doch er nichts dafür, wenn dieser blöde Schlauch abrutscht. So etwas liegt doch nicht in unserer Hand... das muss die Madame doch verstehen... komm, rauch noch eine...

Das wiederholt sich dann erst einmal in Endlosschleife so lange, bis die Ehre wiederhergestellt und der gekränkte Stolz verflogen ist. Das kann dauern, wenn man aber Übung hat, dann dauert das nicht so extrem lange, wenn man vorher schon so ein bisschen vorgearbeitet hat. 

Also waren wir uns einig: der Motor sollte repariert werden. Von ihm. Dem besten Mechaniker des afrikanischen Kontinents. Ach, was sage ich, der ganzen Welt. Das kommt jetzt vielleicht ein bisschen flapsig daher, aber ich denke, dass er schon wirklich weiß, was er da tut. 

Somit war es an der Zeit für den Vorschuss. Nicht etwa, weil er Angst hätte, auf der Reparatur sitzen zu bleiben, das wäre ihm egal, da würde er das Auto einfach verkaufen. Sondern vielmehr, weil es ihm an den finanziellen Mitteln fehlt, für die rund 350 Euro an Neuteilen in Vorkasse zu gehen. Leider hatten wir nicht genug Geld dabei und mussten eine Bank suchen. Ein gar nicht so einfaches Unterfangen in einem Stadtteil, in dem grob geschätzt wahrscheinlich nur 10 Prozent der Bewohner über ein Bankkonto verfügen. Nach geraumer Zeit war dann ein Automat gefunden, an dem man aber in Theorie nur maximal 200 Euro ausbezahlt bekommen konnte, in der Praxis gar nichts, denn er war leer. Beim dritten Automat hatten wir dann Glück. Bis dahin hat es aber auch fast eine Stunde gedauert.

Den letzten Tee konnte ich galant umschiffen, nicht aber die letzte Zigarette. Freundschaftlich überreicht mit den Fingern am Filter. Endlich kam da mal jemand, der Ahnung hatte und sein Talent erkannte und zu würdigen wusste. Die Quittung über den Vorschuss hat seine Frau geschrieben, er selbst kann das nicht tun. 

Eine Woche später kamen dann auch schon das ersten Videos über den Einbau und den bestandenen Dichtheitstest:



Heute kam dann das Video vom laufenden Motor. Ich denke, ich werde bei der Abholung wieder dabei sein. Das lasse ich mir nicht entgehen... 

          

4 Kommentare:

  1. Ein großartiger Bericht wie immer!
    Herzlichen Dank für die Einblicke.

    Als Nichtraucher wäre ich aufgeschmissen. Ich freue mich schon auf den nächsten Post zur Abholung (Biiiittteeee....).

    Herzliche Grüße aus dem regnerischen-kalten Deutschland
    Adrian

    https://motorblog.kochs-online.net/

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Lieber Herr Eder,
    ich hoffe, es geht Ihrem Umfeld und Ihnen gut.
    Ihre Berichte hier habe ich immer gern gelesen, erlauben sie doch den bescheidenen Blick über den allzu gewohnten Tellerrand des Kontinentaleuropäers.
    Über eine Fortsetzung würde ich mich daher immer freuen.
    Ich wünsche Ihnen weiterhin ein gutes Gelingen bei Ihrem eigentlichen Tagwerk.

    Beste Grüße,
    Nils Berger

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  4. Hallo Herr Berger,

    vielen Dank, das freut mich. Der Bus geht in nächster Zeit nach Deutschland, da noch einmal Nachwuchs gekommen ist und ich ihn hier kaum mehr nutze. Hinzu kommt, dass ich gerade ein Buch schreibe, allerdings über Syrien, nicht Ägypten. Spätestens wenn ich irgendwann wieder in Deutschland bin und mit der Restaurierung beginne, gibt es auch wieder Geschichten vom T2. Grüße, Johannes

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